Das Konfiszierte Geschirr der „roten Lena“

Von Dietrich Alsdorf

Ihre Zeitgenossen ließen an Marlene „Lena“ Prink vom Gut Brillenburg bei Buxtehude kein gutes Haar. Wie ein blutig-roter Faden ziehen sich die durchweg negativen Erzählungen über jene „Giftmischerin“, die in einer lauen Sommernacht vor 185 Jahren ihren kranken Ehemann vergiftet haben soll, durch die Regionalliteratur.

Ihr grauenvolles Ende und anonymes Grab fand die 42jährige Frau trotz aller Unschuldsbeteuerungen auf einem Hügel bei Ohrensen. Ihre Überreste wurden erst 2015 nach langer Suche aufgespürt, 2020 exhumiert und ein Jahr später auf einem Harsefelder Friedhof würdevoll bestattet.
182 Jahre nach ihrem Tod widmete der Verein für Kloster- und Heimatgeschichte der Verfemten eine kleine Sonderausstellung mit neuen Erkenntnissen und bisher nie gezeigten archäologischen Funden.
Und das an einem historischen Schauplatz: Das heutige Museum war damals das königliche Gerichtshaus. Am Platz der Ausstellung fanden damals die strengen Verhöre statt, dort wurde Lena das Todesurteil verkündet.
Bereits seit 1981 wird das bei den Ausgrabungen zwischen Amtshof und Kirche gezeigte Verlies, die Todeszelle der „roten Lena“ bei den offiziellen Gästeführungen gezeigt und ihre Geschichte erzählt.
Geradezu märchenhaft mutet der Aufstieg jenes schüchernes Bauernmädchens aus Elstorf an, der es gelang, die Liebe des mysteriösen britischen Gutsherrn und Agenten Michael Wilson zu gewinnen und aus einer brutalen Zwangsehe zu entfliehen.
Unter Wilsons Schutz wandelte sie sich von einer geschundenen Häuslingsfrau zu seiner Geliebten und Gutsverwalterin, gebar ihm mehrere Kinder und zog sich durch den Bruch mit allen damals geltenden Konventionen (Sträflicher Ehebruch“) nicht nur den Hass der geschassten Gutsherrin und am Ende die Verachtung der Buxtehuder Gesellschaft zu, sondern geriet nach Wilsons Tod im Rahmen eines Erbstreits um das Gut in eine Intrige, die nicht nur ihre Familie zerstörte, sondern sie am Ende aufs Schafott führte.
Dieses „Buxtehuder Märchen“ endete in einer Tragödie – und wurde zum Mythos.
Die Ausstellung, basierend auf den neuen Erkenntnissen von Dietrich Alsdorf, der 2023 einen dickleibigen Roman über Lena veröffentlichte und die Ausstellung konzipierte, gibt einen Überblick über ihr ungewöhnliches Leben und konzentriert sich auf die harte Haftzeit in Harsefeld und die Rekonstruktion ihrer Hinrichtung.
Unfassbare 40 Monate war sie im Amtsgefängnis eingesperrt, verlor ihr Gut und ihre Kinder. Das Jüngste starb sogar bei ihr im Verlies. Am Ende kämpfte sie – vergebens - um ihr Leben.
Noch nie gezeigt aber wurde ein Teil ihres Nachlasses.
Der Besucher sieht einige Überreste jenes Geschirrs, dass das Amt Harsefeld gleich nach ihrer Verhaftung im Juni 1839 auf Gut Brillenburg beschlagnahmte um es – zu verkaufen.
Denn die Kosten der Haft musste damals die Verurteilte -zumindest symbolisch  – selbst bezahlen. So wurde damals nicht nur das gutsherrliche Geschirr, sondern der gesamte Gutshaushalt umgehend aufgelöst, das Inventar verhökert.
Bei dem Geschirr, dass zum großen Teil aus England kam, also aus dem Besitz des verstorbenen Gutsherrn Michael Wilson stammte, waren sich die Beamten unsicher, ob die von ihrem Mann getrennt lebende Witwe nicht Ansprüche geltend machen würde.
So wurden das Material auf dem Dachboden des Gefängnisses eingelagert – und offenbar vergessen.
Als das Gefängnis um 1900 abgebrochen wurde, wurde das mittlerweile ausgedünnte und wohl auch zerbrochene Geschirr, inzwischen altmodisch geworden, kurzerhand in eine Grube geworden und dort von den Archäologen 1981 entdeckt und geborgen.


© Fotos und Text: D. Alsdorf 2024.