Vom Kirchturm gefallen - die Fiale vor dem Museum

Von Dietrich Alsdorf


Seit der Eröffnung des Harsefelder Museums im Jahr 1986 steht auf dem Vorplatz ein auffälliger, sorgfältig bearbeiteter Sandstein.
Es ist eine so genannte Fiale, ein Bauelement der gotischen Architektur, das zur Bekrönung von Strebepfeilern in Form schlanker, spitz zulaufender Türmchen diente.
Unser Exemplar ist allerdings neugotisch, stammt also leider nicht aus der Klosterzeit, wie lange angenommen, sondern erst aus dem 19. Jahrhundert.
Deshalb befindet sich der Stein auch nicht in der Klosterausstellung im Museum, sondern etwas verloren draußen auf dem Vorplatz.

Die Fiale auf dem Vorplatz des Museums.

Dort dient der Sandsteinblock seit 2003 sogar als gelegentlicher Ablagetisch bei standesamtlichen Trauungen vor dem Museum. Auch bei den regelmäßigen Märkten auf dem Klosterplatz wird die Fiale gern als Verkaufstisch genutzt.
Doch wie kam das Objekt an diesen Ort, wo wurde es entdeckt?

Die Fiale 1981 im Garten des Forstamtes.

Der wildromantische Forstamtsgarten mit Eintrag der Fundstelle auf dem Ortsplan von Gisela Tamke um 1960.

Der gewichtige Sandsteinblock gehört zu meinen ganz frühen Jugenderinnerungen. Umrankt von Efeu lag er, fast im Boden versunken, in dem damals noch wildromantischen Forstamtsgarten, nahe des „Katerstiegs“, einem ebenso romantischen Fußweg von der Kirche zur Herrenstraße.
Dieser verwunschene Park war mit hohen Zäunen gesichert und nicht zu betreten. Vom Ehrenmal allerdings konnte man in den „Urwald“ hineinsehen und den grün bemoosten Stein betrachten.
Natürlich wurde er damals mangels Kenntnisse wie die Feldsteinmauer am Kirchturm in die Klosterzeit datiert. Und so sollte es für Jahrzehnte bleiben.
Erst 1982 wurde die Fiale im Zuge der inzwischen laufenden archäologischen Ausgrabungen mit Genehmigung des Forstamtes geborgen. Als bislang größtes Bauelement der einstigen Klosterkirche - wie wir damals glaubten.

Bergung der Fiale nebst anderen Baufragmenten im Forstamtsgarten.

Doch als während der Grabungen immer mehr kleine Fragmente ähnlichen Zierrats gefunden wurden, schweifte der Blick immer öfter hoch zum neugotischen Turm, der unterhalb des Helmes und seitlich des Glockenstuhls noch die Stümpfe derartiger – allerdings neugotischer - Fialen trägt.


Splitter vom Turm, gefunden während der Grabungen.

Bei Vergleich mit Fotos aus der Vorkriegszeit löste sich dann schnell das Rätsel: Die heutigen Stümpfe waren ursprünglich zierliche schlanke Türmchen – neugotische Fialen.


Ein Vorkriegsfoto des Kirchturms mit den noch vollständigen zierlichen Fialen. (Foto: Samtgemeindearchiv.)


Bauzeichnung des Kirchturms mit den Fialen (Friedrich-Huth-Zimmer im Museum.)

Die im Samtgemeindearchiv aufbewahrten Fotos belegen, wie sich im Laufe der Jahrzehnte immer mehr Segmente aus den Fial-Türmchen lösten und hinabstürzten.
Vor allem aber der Beschuss, dem der Kirchturm Mitte April 1945 ausgesetzt war, setzte den Türmchen arg zu, so dass man vermutlich wenig später die Objekte abtrug und durch die heutigen Stümpfe ersetzte.


Der Turm nach dem Beschuss vom April 1945. Etliche Fragmente der Fial-Türmchen sind abgestürzt. Der Beschuss seitens der Briten galt einem deutschen Beobachter im Turm. (Foto: Samtgemeindearchiv.)


Gut gezielter Granattreffer oberhalb des Fensters! Wenige Zentimeter tiefer und die Granate wäre im Turm explodiert und hätte diesen vermutlich in Brand gesetzt oder gar zerstört.

Wann nun unsere Fiale vom Turm stürzte, ist bislang nicht bekannt. Es ist auch möglich, dass das Baufragment aus unbekannten Gründen nie verarbeitet wurde und so vielleicht bereits Ende des 19. Jhd. in den Forstamtsgarten gelangte.


Zum Vergleich eine Fiale vom Kölner Dom.


Die heutigen schmucklosen Turmstümpfe.