Geheimnisvolles Grefenkreuz

Von Dietrich Alsdorf

Zu den vielen historischen Örtlichkeiten des Stader Landes gehört das Grefenkreuz. Bis zum Jahr 1852 stand das drei bis vier Meter hohe, grob aus einem Eichenstamm gearbeitete Holzkreuz inmitten der kahlen Heide am Weg von Harsefeld Richtung Stade.

Über Jahrhunderte hinweg bot das christliche Symbol Wanderern und Fuhrleuten Orientierung in Nebel und Schnee. Frommen Pilgern aus den skandinavischen Ländern bot das Zeichen Zuversicht und Hoffnung. Vor fast 200 Jahren aber brach das Gestell in sich zusammen und wurde nicht wieder aufgebaut.

Das Grefenkreuz auf einer Zeichnung von Martin Mushard, Mitte 18. Jhd. Das Grefenkreuz auf einer Zeichnung von Martin Mushard, Mitte 18. Jhd.


Die früheste Darstellung des Kreuzes stammt von dem Archäologie-Pionier Martin Mushard Zu Beginn des 18. Jahrhunderts zeichnete er das Holzmonument, dass auf einem urgeschichtlichen Grabhügel thronte. Er vergas nicht, den alten Postweg in Richtung Stade zu skizzieren. Tatsächlich aber stand das Kreuz auf einer uralten Wegespinne. Denn dort, zentral zwischen dem Fluss Schwinge und dem Alten Land gelegen, schuf das Harsefelder Kloster mit diesem Hoheitszeichen wohl schon im Hochmittelalter einen zentralen Versammlungsplatz für ihre hörigen Bauern.

Auf diesem urgeschichtlichen Grabhügel in der Nähe des heutigen Standorts stand einst das Grefenkreuz. Auf diesem urgeschichtlichen Grabhügel in der Nähe des heutigen Standorts stand einst das Grefenkreuz.


Unter dem Kreuz hatten sich die Untertanen des Klosters Harsefeld aus Kehdingen, dem Alten Land und aus dem Stader Land zu versammeln. Zum Beispiel zur Huldigung eines neuen Erzabtes oder Landesherren. So nahm dort im Jahre 1640, als die Herzogtümer Bremen-Verden an Dänemark gefallen waren, der junge Prinz Friedrich von Dänemark die Huldigung seiner Untertanen entgegen. Segegebade Ebbers, Klostervogt zu Harsefeld, ließ die „Klostermeyer“ aus dem Stader Land beim „Grauen Krütze“ versammeln. Dort wurde in Anwesenheit von Prinz Friedrich gehuldigt und gemustert. Denn die Männer hatten im Bedarfsfall Kriegsdienst wie Hand- und Spanndienste zu leisten. Drei feiste Widder und ein Ochse wurden zur Verpflegung des Prinzen und seines Gefolges geschlachtet. Daneben wurden Hamburger Bier, französische Weine und Weißbrot angekarrt.

Kaum hundert Jahre später war die ursprüngliche Bedeutung des Zeichens verloren gegangen. So mag es kaum verwundern, dass sich eine Sage um das Grefenkreuz rankt, die Angelus Gerken verfasst (und sich wohl auch ausgedacht) hat: Demnach soll es entstanden sein, als zur Harsefelder Klosterzeit die Tochter eines Grefen in Mulsum an dieser Stelle von ihrem Vater dabei ertappt wurde, als sie mit einem Mönch lustwandelte. „Voller Zorn erhob der Grefe den Stab, seine Tochter zu züchtigen. Sie sank zu Boden und breitete die Arme aus, den Schlag abzuwehren. Dabei aber erstarrte sie zu Stein. Es war geschehen, was der Vater zuvor schon geschworen hatte: Eher solle seine Tochter zu Stein werden, als dass Schande über sein Haus komme. Der Stein wurde im Volke alsbald Grefenkreuz genannt.“

Ein Märchen wie so viele des Stader Landes. Hier wurden die bekannten Details – Hoheitszeichen des Harsefelder Kosters mit dem Amt des Grefen in Verbindung gebracht. Und für einen Kreuzstein gibt es keine Hinweise. Allerdings könnte es ursprünglich einen solchen Stein gegeben haben, der dann später an anderer Stelle Verwendung fand und durch ein Holzkreuz ersetzt wurde.

Mit Ende des Harsefelder Klosters im Jahre 1648 hatte der Versammlungsort seine einstige Bedeutung eigentlich verloren. Dennoch wurde es in großen Abständen immer wieder erneuert. Das war zum Beispiel im Sommer 1771 der Fall. Das weithin sichtbare Kreuz war in sich zusammengebrochen. Zu jenem Zeitpunkt sah man das Gestell nur noch als „Merk- und Grenzzeichen“. Allerdings waren gerade Fremde auf diesen besonderen Wegweiser angewiesen. Es hieß, „dass Reisende sich nach diesem erhabenen Zeichen zu richten gewöhnt sind, und sich dort leicht verirren, auch in Möhre und Moraste gerieten, und unglücklich verenden könnten.“

Die Bauern aus dem benachbarten Ohrensen und Issendorf wohnten mit ihren Söhnen und Erben der feierlichen Aufrichtung eines neuen Kreuzes unter Leitung des Gräfen Johan Henrich Tomforde aus Bargstedt bei. Die Harsefelder Bauern, ebenfalls geladen, erklärten, dass sie sich lieber um ihre Ernten kümmern wollten.

Das alleine zeigt schon, wie gering das Interesse an der historischen Örtlichkeit mittlerweile gediehen war. Dennoch, der Bargstedter Gräfe nahm seine Aufgabe sehr genau. Überliefert ist, dass ein Buxtehuder Zimmermeister mit vier Wander-Gesellen die Arbeit ausführten. Das Kreuz wurde genau an jene Stelle in den urgeschichtlichen Grabhügel gesetzt, wo bereits der Vorgänger eingegraben war. Neben dem alten Stumpf wurde noch ein älterer Überrest eines Kreuzes gefunden. Auch besondere Beigaben wurden gefunden: „Kohlen, Glase und Eierschalen“. Die Arme des Wegweisers waren beschriftet und wiesen den Weg nach Harsefeld, Stade, Dollern, Heidkrug und Issendorf.

Um das Jahr 1808 wird noch eine Ausbesserung gemeldet, im Jahre 1852 war „das alte Kreuz, im Volk Grefen Kreuz genannt, wegen Alter und Gebrechlichkeit zusammengestürzt.“

Es sollte nicht wieder errichtet werden. Zwar fragte der Harsefelder Amtmann pflichtgemäß bei der königlichen Landdrostei in Stade an, ob es erneuert werden sollte. Doch von dort kam die Amtwort, dass es keinerlei Veranlassung vorliege, das alte Merkzeichen zu erneuern. Hinzu kam, dass es seine Funktion als Wegweiser endgültig eingebüßt hatte, nachdem westlich die neue Chaussee nach Stade – die heutige Kreisstraße L 124 - gebaut und die alten Fuhrwege aufgehoben wurden.

Das erste nachgebaute Grefenkreuz stand 1987 am Feldrand nur wenige Meter vom Originalstandort entfernt.
Das erste nachgebaute Grefenkreuz stand 1987 am Feldrand nur wenige Meter vom Originalstandort entfernt. Das erste nachgebaute Grefenkreuz stand 1987 am Feldrand nur wenige Meter vom Originalstandort entfernt.


Der Verfasser konnte bereits vor Jahrzehnten den alten Standort des Grefenkreuzes eindeutig identifizieren und regte im Rahmen des Vereins für Kloster- und Heimatgeschichte einen Nachbau an historischer Stätte an. Es ist ein heute fast zugewachsenes Hügelgrab abseits der Wege – für den Interessierten kaum zugänglich.

Im Spätsommer 1987 konnte der Verein eine Nachbildung, ein mehrere Meter hohes schlichtes Kreuz nur wenige Meter neben dem alten Standort aufstellen. Doch diese Nachbildung am Feldrand fand kaum Beachtung.

Im Jahre 2009 wurde seitens des Vereins erneut eine Nachbildung in Auftrag gegeben und – allgemein zugänglich - 150 Meter westlich, dicht an der heutigen Kreisstraße aufgestellt.

Das heutige, 2009 aufgestellte Grefenkreuz mit Erläuterungstafel. Das heutige, 2009 aufgestellte Grefenkreuz mit Erläuterungstafel.


Zufahrt: Von Harsefeld fährt man die L 124 Richtung Stade. 2,6 Kilometer nach Passieren des Kreisels in Linnah nach rechts abbiegen in den „Stader Weg“. Dort parken und zu Fuß noch 130 Meter entlang des Radweges parallel zur L 124/Zeven gehen.

Quellen:

Isensee, Klaus: „Das Ende des Grefenkreuzes“; in: Geschichte und Gegenwart 1989, herausgegeben vom Verein für Kloster- und Heimatgeschichte Harsefeld e. V.