Klostergarten früher - Museumsgarten heute

von Karola von der Osten-Sacken und von Rhein


„Klostergarten“ - ein Wort wie eine Verheißung in einer Zeit, die vor allem von modernen Plagen wie Lärm, Rastlosigkeit, Hektik, Zeit- und Leistungsdruck geprägt ist. Dieser Garten ist für den gestressten Zeitgenossen ein Rückzugsraum, in dem Ruhe, Gelassenheit, Selbstbesinnung und eine gewisse Demut herrschen. Hier gibt die Natur weitgehend den Takt vor. Der Klostergarten war und ist - von außen betrachtet - eine Oase der Stille, Erholung und Kontemplation.
Es sind die Bilder vom friedlichen Klostergarten, die bei uns Emotionen auslösen und manchmal wohl auch Sehnsüchte wecken. Auch wenn sich in diesen Vorstellungen ein idealisierender Blick ausdrückt, darf nicht vergessen werden, dass der Klostergarten ein Ort harter Arbeit war und auch heute noch ist. (1)
Das Kloster Oberzell in der Nähe von Würzburg besitzt einen der größten Kräutergärten Deutschlands und arbeitet mit der Forschungsgruppe „Klostermedizin“ der Universität Würzburg zusammen. (2)
Hier werden die pflanzlichen Arzneimittel des Mittelalters erforscht. „Die Klöster hatten gleichsam das Monopol in der medizinischen Versorgung inne, deshalb spricht man auch vom Zeitalter der „Klostermedizin“.(3) Sogar die Schulmedizin und die Pharmaindustrie zeigen zunehmend Interesse an den Forschungsergebnissen.(4)
Nach Benedikt von Nursia, der als Abt des Klosters Monte Cassino Regeln für das Zusammenleben seiner Mönche verfasste, sollte ein Kloster wo möglich so angelegt sein, „dass sich alles Notwendige innerhalb der Klostermauern befindet, nämlich Wasser, Mühle, Garten und die verschiedenen Werkstätten, in denen gearbeitet wird.“ (Regula benedicti, Kap. 66).(5)
Das Hauptproblem bei der Erforschung mittelalterlicher Klostergärten besteht darin, dass die Überlieferung lückenhaft ist.(6) Um dennoch ein Bild davon zu bekommen, wie mittelalterliche Gärten gestaltet waren und welche Pflanzen angebaut wurden, werden als wichtige Quellen aus dem Frühmittelalter die Krongüterverordnung Karls des Großen „Capitulare de villis“, das Lehrgedicht „Hortulus“ (Gärtchen) des Reichenauer Abtes Walahfried Strabo und der „Klosterplan von St. Gallen“ herangezogen.
Die Krongüterverordnung regelte die Bewirtschaftung der kaiserlichen Landgüter. Sie schrieb u. a. eine bestimmte Anzahl von Nutzpflanzen, Heil- und Gewürzpflanzen sowie Obstbäumen vor. Mit diesen verbindlichen Vorgaben sicherte der Kaiser die wirtschaftliche und medizinische Versorgung seines umherziehenden Hofes. In seinem Lehrgedicht „Hortulus“ schildert Strabo seinen klösterlichen Garten. Er gibt Anweisungen für den Gartenbau, beschreibt das Wachstumsverhalten der Pflanzen, deren medizinische Wirkung sowie ihre Symbolik.(7)
Der „Idealplan“ einer Klosteranlage entstand im 9. Jahrhundert vermutlich im Kloster Reichenau für das Kloster St. Gallen. Er diente über Jahrhunderte abendländischen Klöstern als Vorbild. Der „St. Galler Klosterplan“ enthält verschiedene Gartentypen, einen Kreuzgarten, einen Gemüsegarten, einen Heilkräutergarten und einen Baumgarten, der gleichzeitig als Friedhof diente. Im Heilkräutergarten gab es 16 Beete, auf denen Pflanzen wie bei Strabo wuchsen.(9)
Die Strukturen mittelalterlicher Klostergärten mit ihren Einfriedungen, den erhöhten, mit Holzbohlen eingefassten Beeten, auf denen jeweils eine Pflanzenart wuchs, werden heute wieder in neu angelegten Klostergärten wie z. B. im Kloster Michaelstein aufgegriffen.

Klostergarten im Kloster Michaelstein.

Andere Klöster, so im Kloster Jerichow, gehen neue Wege.

Die Benediktregel sieht Gartenarbeit für die Mönche ausdrücklich vor, denn „Müßiggang ist der Seele Feind“ (Reg. benedicti, Kap. 48). „Ora et labora“ (Bete und arbeite) bringt dieses Lebenskonzept zum Ausdruck. Die Klostergärten ermöglichten den Mönchen Selbstversorgung und wirtschaftliche Unabhängigkeit. Sie waren vorwiegend Nutzgärten und lieferten die Lebensmittel und Kräuter für die Klosterküche und Klosterapotheke. Verschiedene Kohlsorten, Rüben, Zwiebeln, Lauch, Wurzeln, Pastinaken, Gurken, Kichererbsen, Guter Heinrich (Wilder Spinat), Mangold und Haferwurzeln wuchsen in den Gemüsegärten. Dazu kamen Salbei, Thymian, Rosmarin, Fenchel und andere Kräuter. Obst wie Apfel, Birne, Pfirsich und Pflaume sowie verschiedene Nüsse bereicherten den Speiseplan. Auch Färberpflanzen wie Krapp (Rot), Waid (Blau), Färberginster (Gelb) und Seifenkraut als Reinigungsmittel wurden angebaut. Blumen wie Rose und Lilie dienten auch als Heilpflanzen. Sie waren zugleich Symbole für die Jungfrau Maria.
„Die Sorge für die Kranken muss vor und über allem stehen“, heißt es bei Benedikt (Kap. 36). Das medizinische Wissen der Antike wurde in den Klosterbibliotheken des Mittelalters bewahrt, von den Mönchen genutzt, weitergegeben und durch eigene Erkenntnisse ergänzt. Der Heilkräutergarten diente den Mönchen als Apotheke. Die zunehmende Bedeutung der Heilpflanzen für die Klosterkultur zeigt sich auch darin, dass medizinische Werke entstanden.
Ende des 8. Jahrhunderts wurde die älteste Rezeptsammlung im deutschsprachigen Raum, das sog. „Lorscher Arzneibuch“, geschrieben. Das Standardwerk der Klostermedizin wurde das Lehrgedicht „De viribus herbarum“ (Über die Kräfte der Pflanzen) des Mönchs Odo Magdunensis (11. Jh.). In das 12. Jahrhundert – zur Frühzeit des Harsefelder Klosters – gehören auch die Schriften der Hildegard von Bingen.(10)
Das Wissen der Mönche über die Wirkung von Heilkräutern half nicht nur den Mitbrüdern bei Krankheit, sondern auch Gästen, Pilgern und der Bevölkerung in der Nähe der Klöster.
In den Jahren 1981 – 1984 wurden von Archäologen die Fundamente des ehemaligen Benediktinerklosters Harsefeld freigelegt und kenntlich gemacht.(11) Wegen der spärlichen schriftlichen Überlieferung wissen wir für Harsefeld nicht, ob die Gärten des Klosters nach den Vorgaben des „St. Galler Klosterplans“ angelegt worden sind oder nach eigenen Vorstellungen gestaltet wurden.
Christian Kammann hat für die Spätzeit des Klosters (17. Jh.) einen „Herrengarten“, einen „Küchengarten“ und einen „Baumgarten“ nachgewiesen.(12) Über die Lage der Gärten ist nichts bekannt. Kammann vermutet in dem späteren Drostengarten den aus klösterlicher Zeit fortgeführten „Herrengarten“. Die Lage des „Küchengartens“ könnte dem späteren Vorwerksgarten des Amtes Harsefeld entsprochen haben.(13)
Für „Herren- und Küchengarten“ sind u. a. Ausgaben für Lavendel, Sämereien für allerlei Kräuter, „Kohlsaat“, „Wurtelen“, „Kroppen“ (Kopfsalat), „Sipollen“ (Zwiebeln) sowie verschiedene „Bonen“ belegt.(14) Der Verkauf von Äpfeln vom Klosterhof und der Erwerb von zwei Walnussbäumen sind die einzigen überlieferten Hinweise auf einen „Baumgarten“.(15)
Das Ende der traditionellen Klostergärten kam, als 1803 viele Klöster per Gesetz ihre Eigenständigkeit verloren.
In Erinnerung an das ehemalige Benediktinerkloster und seine Gärten – wir reden hier über einen Zeitraum von mehreren hundert Jahren – entschloss sich der Verein für Kloster- und Heimatgeschichte in den 1990er Jahren um das Museum herum einen Marien- und Kräutergarten anzulegen.
Reinhard Mehrkens übernahm ehrenamtlich die Planung, Bepflanzung und Pflege der Anlage. 1998 wurde der Garten eingeweiht, und schon bald konnten Blumen wie Pfingstrose, Iris, Frauenmantel, Schlüsselblume und andere der Jungfrau Maria gewidmete Pflanzen bewundert werden. Dazu kamen Heil- und Gewürzkräuter wie Salbei, Thymian, Wermut, Weinraute, Beinwell und Baldrian. In den nachfolgenden Jahren ist der Museumsgarten durch alte Gemüsesorten wie Haferwurzel, Mangold, Gemüseampfer, Melde und Guter Heinrich erweitert worden. Auch Zauber-, Wasch- und Färberpflanzen sowie Mispel und Quitte haben hier ihren Platz gefunden. Historische und moderne Rosen entfalten im Juni ihre Farbenpracht. Gagelstrauch und Hopfen erinnern an die lange Tradition des Bierbrauens in Harsefeld. Neuerdings befinden sich dort auch Pflanzen, die aus der „Neuen Welt“ zu uns gekommen sind wie die Kapuzinerkresse, die Flammenblume, die Dahlie und der Sonnenhut.
Trotz der räumlichen Nähe zum ehemaligen Benediktinerkloster hat der Verein für Kloster- und Heimatgeschichte nicht den Begriff „Klostergarten“, sondern „Museumsgarten“ für die Anlage rund um das Museum gewählt. Der Harsefelder „Museumsgarten“ ist ein zeitgenössischer Garten mit historischen Bezügen. In diesem Jahr wird der „Museumsgarten“ durch Neuanpflanzungen bereichert und umgestaltet.
Da der Pflanzenheilkunde wieder verstärkt Beachtung geschenkt wird, kann der Museumsgarten ein Anziehungspunkt für Harsefelder und Besucher sein.(16)



Altes und neues Wissen aus Klostergärten

Salbei – salvia officinalis
„Leuchtend blüht Salbei ganz vorn am Eingang des Gartens, süß von Geruch, voll wirkender Kräfte und heilsam zu trinken.“ (Strabo, 9. Jh.)

„Heute ist bekannt, dass die Salbeiblätter ätherisches Öl, Gerb- und Bitterstoffe und Flavonoide enthalten.“ (Mayer, 21. Jh.) Salbei wirkt entzündungshemmend, fördert die Verdauung und vermindert die Schweißsekretion.

Rezept gegen den Jähzorn
„Wer jähzornig ist, der nehme die Rose und ein wenig Salbei und zerreibe es zu Pulver, und zu jeder Stunde, wenn ihm der Zorn aufsteigt, halte er es an seine Nase.“ (Hildegard von Bingen, 12. Jh.)

„Wer sich in rechter Zeit um die Ernährung kümmert, braucht keine Arzneimittel.“ (Lorscher Arzneibuch, 8. Jh.)

„Getrockneter Ackerschachtelhalm und Brennnesselblätter, zu gleichen Teilen als Tee aufgegossen, entschlacken den Körper und helfen bei schmerzendem Rücken.“ (Schwester Guda vom Kloster Lioba, 21. Jh.)

„Dem Fröhlichen ist jedes Unkraut eine Blume, dem Betrübten ist jede Blume ein Unkraut.“ (Volksweisheit)

„Salbei im Garten, der Tod kann warten.“ (Volksweisheit)

„Der nächste Schnupfen kommt bestimmt, nur nicht zu dem, der Thymian nimmt.“ (Volksweisheit)

„Kräuterkissen, welch ein Glück, bringt den ersehnten Schlaf zurück.“ (Volksweisheit)

„Dumme rennen, Kluge warten, Weise gehen in den Garten.“ (Indische Weisheit)

Dieser Beitrag erschien (hier leicht gekürzt) in GuG 2019.


Anmerkungen

  1. Für die Entwicklung des klösterlichen Gartens haben die Zisterzienser auf Grund ihres Arbeitsethos´ den größten Beitrag geleistet.
  2. Diese Forschergruppe wurde unter Leitung von Johannes Gottfried Mayer 1999 gegründet. Sie beschäftigt sich mit der „Klostermedizin“ des 9. bis 13. Jahrhunderts. Mittelalterliche Handschriften sind die Grundlagen ihrer Arbeit.
  3. Johannes Gottfried Mayer u. a., Die Pflanzen der Klostermedizin in Darstellung und Anwendung, Baden-Baden 2009, S. 1.
  4. Es ist beachtlich, wie nahe manche Empfehlungen der Mönche an den Empfehlungen heutiger Naturheilkundler liegen.
  5. Diese Regeln wurden später von vielen abendländischen Klöstern übernommen.
  6. Siehe hierzu: Dieter Hannebo, Gärten des Mittelalters, München und Zürich 1987, S.7.
  7. Seit einigen Jahren gibt es auf der Insel Reichenau wieder einen Kräutergarten, in dem die im „Hortulus“ beschriebenen Pflanzen in Hochbeeten wachsen.
  8. Zu dieser Zeit (9. Jh.) gab es Pfefferminz noch nicht. Erst 1696 wurde diese Pflanze in England gezüchtet.
  9. Hannebo, a. a. O., S. 32.
    Klostergärten im Kloster Michaelstein, Stiftung Kloster Michaelstein, o. J., S. 5.
  10. H. von Bingen war die letzte Autorin der „Klostermedizin“. Im 12. Jh. wurde dem Klerus verboten, ärztlich tätig zu sein.
  11. Das Harsefelder Kloster war für ca. 550 Jahre ein bedeutendes Zentrum der Klosterkultur im Elbe-Weser-Raum.
  12. Christian Kammann: Die Klostergärten zu Harsefeld, in: Renaissancegärten in Bremen-Verden, Stade 2012, S. 65 u. 68.
  13. Kammann, a. a. O., S. 872 u. 873.
  14. Kammann, a. a. O., S. 65, Anm. 65, S. 67, Anm. 73, 74, 76.
  15. Kammann, a. a. O., S. 68 u. S. 486.
  16. Heute wissen wir, dass es neben ostasiatischen Heilmethoden auch eine europäische Tradition in der Naturheilkunde gibt.