Die historische Bahnbrücke in Bargstedt
Von Dietrich Alsdorf
Ihre Tage sind gezählt – ihr Abbruch beschlossene Sache: Die aus drei Bögen bestehende marode Bahnbrücke über die K-77 in Bargstedt soll nach den Plänen der EVB abgebrochen und durch eine Neukonstruktion ersetzt werden. Dass das über 110 Jahre alte Bauwerk nicht mehr den heutigen Anforderungen entspricht, sieht jeder, der sich die Mühe macht, das malerische Bauwerk einmal aus der Nähe zu betrachten: Zerschrammte Tunnelwände und ramponierte Warnbleche am Brückenbogen zeugen von unzähligen kleinen und größeren Karambolagen. Wobei man den Eindruck gewinnt, dass die meisten Unfälle beim Einfahren in den Brückentunnel aus Richtung Hollenbeck entstanden sind. Dort ist das weiß-rote Warnbleck am Brückenbogen zumeist nach innen verbogen, während es auf der Bargstedter Seite mehr nach außen gebogen ist. Warnschilder an beiden Seiten der Brücke geben die maximale Durchfahrtshöhe mit 3,5 Metern an.
Als die Brücke zwischen 1899 und 1902 gebaut wurde, störte das niemanden. Die mit Getreide oder Heu beladenen Erntewagen passierten die Brücke mühelos, Autos gab es noch nicht. Und als die ersten Vehikel wenig später durch die Feldmark tuckerten, konnten diese die Brücke nebeneinander passieren. Wer von den preußischen Planern konnte ahnen, dass es mal vergleichsweise riesige Laster geben würde, die es zudem eilig haben.
Der Bau der Eisenbahnlinie Geestemünde (heute Bremerhaven) und Buchholz gehörte zu den ehrgeizigen Projekten der Jahrhundertwende. Abgelegene Dörfer wie Bargstedt wurden mit der Außenwelt verbunden, und die Wirtschaft florierte. Einsprechend bejubelt wurde die Eröffnung der Strecke am 1. Februar 1902. Die Bedeutung der Bahn für die Region war enorm. Als Empfangsgüter wurden genannt: Kohlen, Kunstdünger, Getreide, Futtermittel, Kolonialwaren und Vieh. Über die Bahn ausgeführt wurden Kartoffeln, Obst, Holz, Torf, Wolle und ebenfalls Vieh.
Als Ende April 1945 der Zweite Weltkrieg die Region und um Bargstedt gekämpft wurde, schien das Ende der Brücke nah. Ein deutsches Sprengkommando durchstreifte die Gegend, um durch wahlloses Zerstören von Brücken den britischen Truppen den Vormarsch zu erschweren.
Der Bargstedter Chronist und Lehrer Friedrich Hillmann, der die Vorgänge in seinem Dorf akribisch notierte, bezeichnete die Männer dieses Kommandos als „Strolche“, die seiner Meinung keine Soldaten mehr wären. Nachdem der Trupp am Abend des 22. April 1945 die große imposante Bahn-Brücke über die Aue trotz zahlreicher Proteste in die Luft jagte, sollte anderntags auch die Brücke über die K77 folgen.
Chronist Hillmann hielt den Protest der mutigen Bargstedter Bürger fest: „Ihr wollt dich wohl nicht noch größeren Schaden anrichten?“, fragte ein Bürger. „Was meinst du damit?“ erwiderte der Kommandoführer.
„Sprengt doch nicht die schönen Brücken!“ „Ach was!“ kam es zurück, „Krachen muss es! Wir haben nichts mehr und ihr braucht auch nichts mehr!“ Kurz darauf flog die erwähnte Auebrücke Richtung Hollenbeck in die Luft.
Was das Sprengkommando veranlasste, die Bogenbrücke zu verschonen, ist unklar. Vermutlich hatte sie angesichts der erfolgten Zerstörung der Bahnbrücke über die Aue keinerlei militärische Bedeutung mehr. Oder die Sprengmittel waren ausgegangen. So blieb die Bahnbrücke erhalten und überdauerte die Zeiten.
Zufahrt: Wer sich die Brücke anschauen möchte, fährt die K-77 entweder von Hollenbeck nach Bargstedt oder umgekehrt. Radfahrer und Fußgänger können von Harsefeld in landschaftlich reizvoller Lage entlang des Bahndamms nach Bargstedt fahren bzw. wandern.
Der Beitrag erschien in GuG 2018.